Der Bundesgerichtshof (BGH) befindet sich mit seiner jüngsten Argumentation klar auf dem Holzweg. Es werden nicht Äpfel mit Birnen verglichen, sondern aus einigen Äpfeln werden plötzlich Birnen, und für Birnen gibt es keinen Schadenersatz.
Ein im Jahr 2016 gekaufter Tiguan, ein Rückruf vom Kraftfahrtbundesamt, die darauf folgende Aufforderung, mit einem Software-Update das Fahrzeug in einen vorschriftsmäßigen Zustand zu versetzen. Das ist auch schon der entscheidende Punkt: “…in einen vorschriftsmäßigen Zustand…”. Genau an dieser Stelle verlässt, wie später gezeigt wird, der Bundesgerichtshof den geraden Weg der Argumentation.
Das Software-Update, dass von Volkswagen auf die Motorsteuerung aufgespielt wird, und das den Wagen in den gewünschten Optimalzustand versetzen soll, versagt nämlich mehrfach. Die Leistung des Motors sinkt, der Verbrauch steigt, der Verschleiß auch, und, wie sich später zeigt, sind die Messwerte für Schadstoffe im Abgas alles andere als zufriedenstellend.
Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass auch das Software-Update eine illegale Abschalteinrichtung enthält, nämlich ein Thermofenster. Wenn man sich mit Abgaschemie ein wenig auskennt, ist die Überraschung gering, denn der Motor selbst ist unverändert, und somit unverändert nicht in der Lage, den Abgasstrom in ausreichendem Umfang zu reinigen. Blauäugig anzunehmen, ein paar Zeilen Code könnten diesen Mangel aus der Welt schaffen. Eine weitere in der Software enthaltene illegale Abschalteinrichtung kann das schon.
Tatsächlich ist die neue Abschalteinrichtung nicht in der Lage, die Prüfstandsituation zu detektieren und entsprechend darauf zu reagieren. Sie ist einfach ein Thermofenster, die begriffliche Beschönigung für das mutwillige Kaschieren eines Konstruktionsfehlers, der verhindert, das über den Temperaturbereich von etwa 17°C bis 31°C hinaus ernsthafte Abgasreinigung betrieben wird.
Hier kommt nun der Bundesgerichtshof ins Spiel, der dem Fahrer des Tiguan, dessen Schadenersatzbegehr schon vom Landes- wie Oberlandesgericht abschlägig beschieden wurde, die Revision zu verweigern. Es werde beim Sofware-Update keinerlei Sittenwidrigkeit erkannt, da Volkswagen hier in bester Absicht gehandelt habe. Man sei sich der Tatsache möglicherweise nicht bewußt gewesen, eine illegale Vorrichtung einfach weiter zu betreiben.
Mit Verlaub, aber das ist Unsinn. Ein Dieselfahrzeug baut sich nicht allein, und eine Motorsteuerung programmiert sich nicht selbst. Um den hohen Ansprüchen heutiger Gesetze zum Schadstoffausstoss zu genügen, muss Hightech eingesetzt werden, von hochqualifizierten Experten. Denen ist unter dem Damoklesschwert der Drohungen des Kraftfahrtbundesamtes und anderer Ermittlungsbehörden, vor allem us-amerikanischer, einfach nicht aufgefallen, dass sie just in der Software, die sie weisungsgemäß legal herstellen sollen, ein Thermofenster dazwischen gerutscht ist.
Was für ein unglaublicher Zufall, dass gerade dort, wo es auf gar keinen Fall, speziell nicht zur Lösung der Abgasproblematik, ein Thermofenster geben darf, befindet sich dann doch eins. Und, noch größerer Zufall, ist es genau so ein Ding, das die anstehenden Probleme für die Konstrukteure von Volkswagen löst. Die Abgasrückführung ist unterdimensioniert, der AdBlue-Tank zu klein, und, oh großes Mirakel, eine illegale Abschalteinrichtung hilft uns aus der Patsche.
Der Europäische Gerichtshof hat klar zum Ausdruck gebracht, dass alle Abschalteinrichtungen illegal sind, außer sie würden spontane Schäden oder überraschende Unfälle verhindern. Bei den wenigsten Autos explodiert der Auspuff, oder sie landen deswegen im Graben. Das bedeutet, dass wirklich alle Abschalteinrichtungen illegal sind. Wenn man der Rechtsprechung der letzten Jahre glauben darf, stellen Vorrichtungen zur Reduzierung der Abgasreinigung, die dem Kraftfahrtbundesamt bei der Typengenehmigung nicht bekannt waren, eine “sittenwidrige, vorsätzliche Schädigung dar”.
Die Gretchenfrage, die sich umgehend selbst stellt, ist, in wie weit sich ein Thermofenster von einer Prüfstanderkennung in seiner Rolle als illegale Abschalteinrichtung unterscheidet, als dass hier höchstrichterlich zwischen “sittenwidrig” und nicht “nicht sittenwidrig” differenziert werden müsste. Hier liegt der Bundesgerichtshof klar neben der Sache, denn Volkswagen hat das Software-Update nicht im Mindesten zur Zufriedenheit seiner Kunden angefertigt, sondern um zügig aus der Dieselkrise heraus zu kommen, und mit manipulierten Fahrzeugen weiter Geld zu verdienen. Das Ganze geschah mitnichten zufällig oder Unkenntnis, sondern angesichts der Komplexität der Sachlage mit vollem Wissen und im vollen Bewußtsein des Unrechtes.
Rechtsanwalt Torsten Schutte von der Kanzlei schutte.legal vertritt die Interessen geschädigter Verbraucher seit Beginn der Dieselkrise. Er erwartet, dass sich der Bundesgerichtshof in der Haltung zum Software-Update entscheidend korrigiert.
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